Andreas Nemetz, der "Komponist" des "Einschlagens zum Marsch" - zum 175. Todestag

Andreas Nemetz kam am 14. November 1799 in

Chwalkowitz in Mähren (heute Chvalkovice bei Moravské Budĕjovice in der Tschechischen Republik) zur Welt. Er wurde vom Stadtmusicus Johann Leopold Kunerth in Kremsier in Mähren (heute Kromĕříž in der Tschechischen Republik) musikalisch ausgebildet.

 

Um seiner Assentierung zu entgehen, begab er sich nach Ungarn, wo er in Ödenburg (heute Sopron) als Musiklehrer lebte. 24-jährig wurde  Nemetz Posaunist des Wiener Hofopernorchesters.

 

Die Allgemeine Musikalische Zeitung  vom 26.11.1823 berichtete über eine "Große musikalische Akademie" im "K. K. Hof-Theater nächste dem Kärthner-Thore" am 15.11.1823, bei dem Nemetz ein Potpourri für die "Guitarre" gespielt hatte (siehe Abbildung). Er soll alle Blasinstrumente meisterhaft beherrscht und auch vorzüglich Violine und Klavier gespielt haben. 

 

Andreas Nemetz verfasste in den 1820er Jahren mehrere Schulen für Blechblasinstrumente: für Posaune, für Horn und für Trompete.

 

Besonders das Lehrwerk für Trompete ist ohne Übertreibung eine Schule der Superlative: Sie ist die erste in Wien gedruckte Schule für Trompete mit den frühesten Anweisungen für Klappen- und für Ventiltrompete; der Abschnitt für Ventiltrompete ist sogar der älteste weltweit. Außerdem ist dieses Lehrwerk von Andreas Nemetz auch die einzige Wiener Trompetenschule des 19. Jahrhunderts, die nicht speziell für den Gebrauch der Militärkapellen geschrieben ist.

 

Das Erscheinen der Trompetenschule wurde am 24. September 1827 in der Wiener Zeitung angekündigt. Auch die Trompetenabbildung in diesem Lehrwerk ist aufschlussreich: eine Trompete von Joseph Riedl mit denn von Christian Friedrich Sattler erfundenen Doppelrohr-Schubventilen, auch Wiener Ventile genannt, deren Existenz seit 1821 nachzuweisen ist.

 

Ankündigung in der "Wiener Zeitung" vom 25.11.1843
Ankündigung in der "Wiener Zeitung" vom 25.11.1843

Die Militärkapellmeister-Tätigkeit von Andreas Nemetz ist ebenso sehr beeindruckend. Von 1828 bis zu seinem Tod leitete er die Musik des K. K. Infanterie-Regiments Nr. 19 in Wien.

 

Nemetz dürfte der erste Militärdirigent gewesen sein, der gemeinsam mit bedeutenden Wiener Unterhaltungsmusik-Kapellmeistern aufgetreten ist: Am 2. März 1828 spielte das Trompeten-Corps seines Regiments gemeinsam mit dem Orchester von Johann Strauß Vater im Salon "Zur Kettenbrücke" in Wien; nur eine Woche später übernahm Joseph Lanner diese Idee.

 

Nemetz musizierte durch rund eineinhalb Jahrzehnte in Wien unzählige Male mit Strauß Vater und Lanner sowie mit anderen erfolgreichen Tanzkapellmeistern und trat in vielen eigenständigen Veranstaltungen mit seiner Kapelle auf (siehe Abbildung).

 

Der Wanderer sprach am 7. Juli 1834 von der "herrlichen Harmonie des Capellmeisters Nemetz". Er dürfte mit seinen Musikern - möglicherweise als einer der ersten - auch in Streichbesetzung musiziert haben; darauf weisen die von einem seiner Musiker, Andreas Pölz, angebotenen Bearbeitungen hin, der Musikstücke in Besetzung für Streichinstrumente ausdrücklich für Militärkapellen angeboten hat.

 

1844 veröffentlichte Nemetz die Allgemeine Musikschule für MilitärMusik, das einzige Lehrwerk dieser Art in der österreichischen Musikgeschichte.

 

Sie besteht aus vier Teilen: Nach einer "Allgemeinen Vorschule" mit den wichtigsten Grundlagen der Musiktheorie folgen kurze Anweisungen für alle damals in der Militärmusik gebräuchlichen Instrumente, darunter auch die erste Schule für Flügelhorn im deutschsprachigen Raum. Die Abbildung zeigt einen Teil eines Duetts für Flügelhörner. Der nächste Abschnitt ist den Trommelstreichen und Trompetensignalen gewidmet und den Abschluss bilden Partituren für Militärmusik mit Märschen und Hymnen.

 

Unter den "Trommelstreichen" kommt dem "Manövrier-Marsch im Auftrag des k. k. Hofkriegs-Rathes für die sämmtliche k. k. Armee" von Andreas Nemetz besondere Bedeutung bei.

 

Die ersten acht Takte dienen heute noch - in leicht veränderter Form und Notation - den österreichischen Militär- und Zivilkapellen zum sog. "Einschlagen zum Marsch".  Die ersten sechs Takte werden dabei von der kleinen Trommel alleine gespielt, in den letzten beiden Takten kommen große Trommel und Becken dazu.

 

Während dieses Signals werden heute auch - unterstützt durch das Zeichen des Stabführers  (Militär: Musikmeister) - die Blasinstrumente der marschierenden Musikkapelle in Spielstellung gebracht.

 

Unter den Militärmusikpartituren im letzten Teil des Lehrwerks ist das hier als "Oesterreichisches Volkslied" bezeichnete Arrangement der bekannten Kaiserhymne "Gott erhalte" von Joseph Haydn beachtenswert: Der spätere Armeekapellmeister Andreas Leonhardt kritisierte, dass Nemetz in dieser Schule seine Bearbeitung dieses Werkes unter eigenem Namen praktisch unverändert publiziert hat.

 

In einem Artikel mit dem Titel "Sonderbares Zusammentreffen" in der Allgemeinen Wiener Musik-Zeitung (Nr. 34 vom 20. März 1845, S. 135f.) wenige Monate nach dem Erscheinen der Militärmusik-Schule weist Leonhardt dezidiert die augenfälligen "Parallelen" beider Arrangements nach, wobei er mehrfach auch Notenbeispiele anführt.

 

Ein Urheberrecht im heutigen Sinne gab es damals noch nicht, daher blieb diese Vorgangsweise auch ohne weitere Konsequenzen.

 

Weiters sind in diesem Schulwerk auch Partituren eines Defilier-Marsches, eines Manövrier-Marsches und eines Doublier-Marsches zu finden.

 

"Lieber Herr von Diabeli! Haben Sie Gütte, mir den Alpen-Horn Marsch für das Piano-forte zu schicken. Nemetz Kapellmeister. Wien den 9/12/39" (Handschrift von Andreas Nemetz)
"Lieber Herr von Diabeli! Haben Sie Gütte, mir den Alpen-Horn Marsch für das Piano-forte zu schicken. Nemetz Kapellmeister. Wien den 9/12/39" (Handschrift von Andreas Nemetz)

Zu Jahresbeginn 1845 führte die mittlerweile in Linz an der Donau garnisonierende Militärkapelle des Infanterie-Regiments Nr. 19 gemeinsam mit dem Linzer Theaterorchester das charakteristische Tongemälde Die Bestürmung von Saida von Andreas Nemetz auf. Emil Mayer von der Allgemeinen Wiener Musik-Zeitung schrieb eine ausführliche Rezension, was für Auftritte von Militärkapellen - noch dazu in der "Provinz" - eher unüblich war.

 

Kurz danach, am 16. Januar 1845, erlitt Andreas Nemetz einen Schlaganfall, der ihn völlig handlungsunfähig machte, er musste "unter Curatel" gestellt werden. Nemetz starb vor 175 Jahren, am 21. August 1846 in Wien. Er hinterließ eine unversorgte Witwe mit sechs Kindern; sein Schicksal war auch Anlass für die Intentionen von Josef Rudolf Sawerthal zur Gründung des Militärkapelleister-Pensionsfonds.

 

Wiederholt publizierte Anzeige in der "Wiener Zeitung"
Wiederholt publizierte Anzeige in der "Wiener Zeitung"

In seiner Zeit als Mitglied des Hofopernorchesters publizierte Andreas Nemetz neben den Instrumentalschulen auch Tänze und Variationswerke für Gitarre.

 

Mit Beginn seiner Militärkapellmeister-Tätigkeit veröffentlichte Nemetz "Pränumerationsanzeigen" in der Wiener Zeitung; unter dem Titel  Harmonie sollten monatlich mehrere Werke für "türkische Musik" sowie unter der Bezeichnung Bellona  ebenfalls monatlich Kompositionen für Harmoniemusik erscheinen.

 

Viele seiner Werke publizierte er in den ab 1830 bei Diabelli veröffentlichten Heften der Tivoli-Märsche; im großen Vergnügungslokal Tivoli trat Nemetz oft auf und wurde sogar - etwa bei den jährlichen Eröffnungsfesten - gegenüber Johann Strauß bevorzugt.

 

Insgesamt sind mehr als 60 Märsche nachweisbar, vielfach über beliebte Motive aus Bühnenwerken der Zeit; sein Alpensänger-Marsch und sein Pasta-Marsch sind auch in der Sammlung der Deutschen Armeemärsche zu finden.

 

Ankündigung des Auftritts vom 11.9.1836 in der "Wiener Zeitung"
Ankündigung des Auftritts vom 11.9.1836 in der "Wiener Zeitung"

Bereits 1837 wird Andreas Nemetz im Universal-Lexicon der Tonkunst  von Gustav Schilling erwähnt (wenn auch fälschlich als Anton Nemetz); es wird auch auf seine Instrumentalschulen für Trompete, Posaune und Horn hingewiesen.

 

In der Wiener Allgemeinen Musik-Zeitung erschien am 25. August 1846 ein sehr ausführlicher Nachruf; im Universal-Lexikon der Tonkunst  von Ferdinand Simon Gassner (1849) ist Nemetz ebenfalls zu finden.

 

Constantin von Wurzbach widmete ihn im Biographischen Lexikon des Kaiserthums Oesterreich einen umfassenden Beitrag (Bd. 20 [1869], S. 182f.).

 

Die Allgemeine Musikschule für MilitärMusik  und die Allgemeine Trompeten-Schule sind als Band 2 bzw. Band 6 in den Reprints und Manuskripte - Materialien zur Blasmusikforschung - Reprints der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung und Förderung der Blasmusik als Faksimile-Neudruck (herausgegeben und kommentiert von Friedrich Anzenberger) erschienen (Wien: Johann Kliment 2004 bzw. 2011).