125 Jahre "Weana sa ma" - Marsch von Johann Müller

Johann Müller kam am 10. Mai 1856  in Maustrenk  in Niederösterreich zur Welt; der Ort ist heute ein Stadtteil von Zistersdorf. Mit sechs Jahren bekam er Violinunterricht, mit kaum neun Jahren saß er neben seinem Vater am „Primpulte“ am Kirchenchor und mit 16 Jahren soll er in seiner Heimat bereits ein gesuchter Musiker gewesen sein.

 

Ab 1. Oktober 1876 leistete Johann Müller seinen regulären dreijährigen Militärdienst bei der Musik des Infanterie-Regiments Nr. 4 „Hoch- und Deutschmeister“ in Wien ab, der zunächst bis 25. September 1879 dauerte.  Müller diente weitere gute vier Jahre bei den Deutschmeistern, vom 20. Oktober 1881 bis zum 15. März 1885, denn das Regimentskommando hatte ihm zusätzlich zum normalen Sold immerhin zwölf Gulden  monatliche Zulage bewilligt, was ein relativ hoher Betrag war; der Kapellmeister erhielt in dieser Zeit lediglich 65 Gulden Gehalt.

 

 

Johann Müller wechselte mit 16. Dezember 1885 zur Musik des Infanterie-Regiments Nr. 89, die in diesem Herbst ebenfalls nach Wien gekommen war. Müller blieb hier bis zum 27. Jänner 1887 und kehrte am 16. April 1887 erneut als Musiker zum Infanterie-Regiment Nr. 4 zurück, wo er bis zum 31. Januar 1890 aktiv war.

 

Müller dürfte während seiner Zeit als Musiker – vermutlich zu Beginn der 1880er Jahre  - auch am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien studiert haben und Schüler von Josef Hellmesberger des Jüngeren gewesen sein; dies geht aus beiden erhaltenen zeitgenössischen Biographien hervor, lässt sich aber sonst nicht nachweisen.

 

Johann Müller diente bei den Deutschmeistern unter Josef Dubetz (1824-1900), Anton Klemm (1844-1920), Wilhelm Zsák (1836-1911)  und zuletzt unter Carl Michael Ziehrer als erster Geiger und Stellvertreter des Kapellmeisters. Da die Militärkapellen in den großen Garnisonsorten, besonders aber in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien vielfach auch zwei Veranstaltungen zeitgleich absolvierten, war die Funktion eines stellvertretenden Kapellmeisters besonders wichtig.

 

Die Wertschätzung Carl Michael Ziehrers Johann Müller gegenüber zeigt sich auch darin, dass er seine Kompositionen gerne und oft aufführte. Das war durchaus nicht selbstverständlich. Mit sieben gespielten Werken ist Johann Müller der am meisten aufgeführte Militärkapellmeister unter den Komponisten im Repertoire von Ziehrer als Kapellmeister der Hoch- und Deutschmeister; am häufigsten spielte Ziehrer Müllers Potpourri Wien wie es lacht und weint, das insgesamt vierzehn Mal auf den Konzertprogrammen stand. Sogar als Johann Müller bereits die Musik des Infanterie-Regiments Nr. 4 verlassen hatte und selbst als Kapellmeister tätig war, brachte Ziehrer Müllers Marsch Wiener Bürger zur Uraufführung.

 

Das Ungarische Infanterie-Regiment Nr. 46, dessen Regimentsinhaber seit 1883 der Feldmarschalleutnant und spätere General der Infanterie Géza Fejérváry von Komlós-Keresztes (1833-1914)  war, lag seit sieben Jahren in Szegedin in Südungarn (heute Szeged) in Garnison. Wahrscheinlich wusste Johann Müller, dass das Regiment im Herbst nach Wien verlegt wird, da die Änderungen der Garnisonsorte meist einige Monate im Voraus bekannt gegeben wurden, und bewarb sich deshalb um diese Stelle. Johann Müller trat seinen Dienst bereits am 1. Februar 1890 an. Am 2. Juni 1890 entstand hier Müllers reizende Polka française Die schöne Szegedinerin.

 

Ab Herbst 1890 waren die „46er“ in Wien stationiert. Eine Position als Militärkapellmeister bei einem Regiment in der Reichshauptstadt war sehr beliebt, da die Verdienstmöglichkeiten durch eine Vielzahl von Konzerten (an Wochenenden oft mehrere Dutzend!) besonders lukrativ waren; Zusatzeinkommen von vierstelligen Eurobeträgen nach heutiger Kaufkraft waren durchaus keine Seltenheit.  Andererseits war die Konkurrenz sehr groß, da – neben mehreren erfolgreichen Privatkapellen - auch ständig sechs bis acht Militärkapellen in Wien in Garnison waren. Nur ein Kapellmeister, der als Arrangeur und als Komponist erfolgreich war, konnte die Ansprüche des verwöhnten Publikums zufrieden stellen.

 

Seine Militärkapelle war bei einer Vielzahl von privaten Verpflichtungen zu hören, in erster Linie bei Promenadenkonzerten, die in der Regel eine Saison lang wöchentlich einmal in einem Vergnügungslokal (mit Speisemöglichkeit) stattfanden. Meist wurden mehrere solche „Serien“ zugleich absolviert, sodass die Musiker jeden Wochentag in einem anderen Lokal auftraten; manchmal wurden auch zwei Veranstaltungen in geteilten Besetzungen gleichzeitig gespielt. Beliebt waren die Militärkapellen auch als Ballmusiken; in der Faschingszeit fanden an jedem Tag oft eine hohe zweistellige Zahl an Tanzveranstaltungen statt, sodass auch hier die Kapellen gelegentlich mehrere Bälle „zeitgleich“ durchzuführen hatten. 

 

Die Auftritte der Militär- und Zivilkapellen sind heute noch durch die Tagespresse gut dokumentiert, in erster Linie durch das Wiener Fremden-Blatt , das im sog. „Vergnügungs-Anzeiger“ nicht nur Bälle und Konzerte, sondern oft auch die genauen Programme der Kapellen anführte.

 

 Am 18. Januar 1891 folgte im Konzert der „46er“ die erste Aufführung von Müllers erfolgreichstem Marsch Weana san ma, Weana bleib'n ma nach einem Walzerlied von Theodor Franz Schild.  Die angesehene Österreichische Musik- und Theater-Zeitung schrieb später  über die „Uraufführung“: „Das Musikstück fand so ungetheilten Beifall, dass es fünfmal wiederholt werden musste und dem Componisten einen schönen Lorbeerkranz eintrug. Der Marsch dürfte sich bald der verdienten Popularität zu erfreuen haben.“ Der Rezensent dieser Zeitung behielt Recht: Weana san ma wurde die erfolgreichste Komposition von Johann Müller. sie ist heute auch in einem Neuarrangement von Franz Crepaz in den Walter Schwanzer Musikverlagen erhältlich.

 

Zahlreiche weitere Auftritte wären noch zu nennen ... Interessant ist vielleicht das Engagement in "Schwender's Colosseum", dem größten Vergnügungslokal dieser Zeit in Wien, an das heute noch die Schwendergasse erinnert. Johann Müller spielte hier mit zwei Orchestern "gleichzeitig" im Amorsaal und im Florasaal.

 

Im Herbst dieses Jahres verlegte man das Infanterie-Regiment Nr. 46 wieder nach Szegedin und Johann Müller wechselte als Nachfolger von Franz Sommer (1852-1908)  als Militärkapellmeister zu den „82ern“  in Karlsburg in Siebenbürgen  wo er nur ein Jahr blieb. 1896 trat er in gleicher Funktion in die Kapelle der „84er“  in Krems an der Donau ein, die ihn wieder in seine niederösterreichische Heimat brachte. Hier folgte er auf Edmund Patzke (1844-1903) , der mit Jahresbeginn 1897 als Kapellmeister nach Luxemburg ging.

 

Der beschwerliche Dienst eines Militärkapellmeisters einerseits und seine Erfolge bei Konzerten und Bällen in Wien andererseits mögen Johann Müller - ebenso wie viele seiner Kollegen  – dazu bewogen haben, dem Militär den Rücken zu kehren und zukünftig nur noch mit einer eigenen Kapelle aufzutreten.

 

Müllers Tätigkeit als privater Musikdirektor begann spätestens im Jahr 1900, als er – mit stark vergrößerter Kapelle – als Botschafter Österreichs bei der Weltausstellung in Paris (Exposition Universelle et Internationale de Paris) auftrat.

 

Viel Erfolg hatte Johann Müller im weltberühmten Kurort Karlsbad, wo er im Hotel Westend  konzertierte, die Aufmerksamkeit des Schahs von Persien und seines Hofkapellmeisters erregte und mit dem Persischen Sonnen- und Löwen-Orden  ausgezeichnet wurde. Besondere Wertschätzung erfuhr Müller durch die Erzherzogin Isabella, die Frau von Erzherzog Friedrich.

 

 

Die Kapelle von Johann Müller war aber auch durch viele Jahre hindurch in Wien zu hören. Seine Konzertakademien mit anspruchsvollem Programm wurden vom Publikum sehr geschätzt. Sie fanden ab 1903 im Etablissement Ronacher  statt. Für den 3. April 1904 wird im Illustrierten Wiener Extrablatt das Abschiedskonzert angekündigt. Auch beim „Wilden Mann“ spielte er regelmäßig mit seinen Musikern.  Oft trat er auch in den Sophiensälen auf, wo er früher auch als Militärkapellmeister sehr erfolgreich war.

 

Nicht alle Auftritte des „Musikdirektors Johann Müller“ sind heute noch nachvollziehbar; über die sehr "intensive" Ballsaison 1907 sind wir jedoch aufgrund seines nachfolgend angeführten Kapellmeisterjubiläums in diesem Jahr sehr gut informiert.

 

 

In den Sophiensälen fand am 3. März 1907 eine Feier anlässlich seines „dreißigjährigen Musikerjubiläums“ statt, aus dessen Anlass der populäre Wiener Volksdichter Eduard Merkt (1852-1908)  eine vierseitige Würdigungsschrift mit umfangreicher Biographie, einem Verzeichnis mit einer Auswahl seiner 1907 gespielten Bälle sowie einer Auflistung seiner populärsten Werke. Müller feierte bei diesem Anlass auch seinen 50. Geburtstag, der zu diesem Zeitpunkt aber schon einige Monate zurücklag.

 

In den Konzertanzeigen ist Johann Müller auch weiterhin häufig zu finden: In den Sophiensälen nicht nur am Sonntag, sondern auch an Donnerstagen gemeinsam mit der Kapelle von Johann Ganglberger.  Im Prater spielte er im Sommer 1907 sogar jeden Montag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag; für kurze Zeit führte er seine Konzertakademien im Hotel Sawoy in der Mariahilferstraße 91 durch. Im Sommer 1908 trat er jeden Mittwoch im „Ottakringer Bräu“  auf, an Sonntagen gab er sein „Volkstümliches Konzert“ im Volksgarten , auch im Ersten Kaffeehaus im Prater  und im Kursalon im Stadtpark  war die Kapelle zu hören.

 

Am 15. Oktober 1908 begann Johann Müller wie in den vergangenen Jahren wieder mit seinen Konzertakademien, die jeden Sonntag in den Sophiensälen stattfanden und an die in der Faschingszeit auch noch eine „Maskenredoute“ angeschlossen wurde. Am Aschermittwoch gab es ein Konzert mit einem Heringsschmaus, am 21. März 1909 fand die letzte Akademie statt. Auch in den folgenden Jahren bleibt dieser Konzerttypus in den Sophiensälen in der kalten Jahreszeit die wichtigste künstlerische Aktivität von Johann Müller, wenn auch Auftritte in anderen Lokalen fallweise nachweisbar sind.

 

Mit dem Titel „Konzertakademie“ wollte sich Müller bewusst von der Vielzahl der sog. Promenadenkonzerte von Militär- und Privatkapellen abheben, indem er ein anspruchsvolleres Programm anbot und zusätzlich noch bei jedem Konzert einen Künstler einlud, der als Solist auftrat oder einen Komponisten, der seine neuesten Werke dirigierte. Das "Illustrierte Wiener Tagblatt" erwähnte 1909 die „außerordentliche Beliebtheit“ dieser Konzertakademien und wies auch auf die „hervorragenden Kunstkräfte“ hin, die Johann Müller immer wieder zu sich einlud. Positiv erwähnt werden die im Anschluss an die Konzerte stattfindenden „Familien-Tanzreunionen“. 

 

In den letzten Jahren von dem Ersten Weltkrieg dürfte sich Johann Müller nach und nach aus dem Unterhaltungsmusikgeschäft zurückgezogen haben; es werden in den Zeitungen nur noch vereinzelt Auftritte angekündigt.

 

Neben „populären Orchesterkonzerten“ und „Masken-Redouten“ in seinem Stammlokal, den Sophiensälen, war er auch im Hotel Metropol in der Mariahilferstraße 81, in Franz Aufischers Hotel Monopol  und im Hotel Post am Fleischmarkt 16 zu hören.

 

 

 

Es ist aufgrund von Johann Müllers guten Kontakten zum Hochadel, etwa zur Erzherzogin Isabella, durchaus vorstellbar, dass er vermehrt Verpflichtungen bei privaten Auftraggebern angenommen hat, statt in großen Konzertsälen aufzutreten. Für diese Annahme spricht auch der Umstand, dass Müller bis zu seinem Tod im Gewerbe Adreßbuch für die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien und Umgebung  unter „Musikdirektoren“ inseriert hat.

 

Auch wenn Johann Müller nicht mehr viel komponierte - seine Werke von früher waren aber noch populär, sonst hätte sein Verleger Rebay und Robitschek sicherlich kein eigenes "Johann-Müller-Album" mit seinen erfolgreichsten Kompositionen aufgelegt, das bis ins 21. Jahrhundert (!) im Verlagsprogramm blieb und noch vor wenigen Jahren im – heute nicht mehr existierenden - Verkaufslokal des Musikverlages Robitschek in der Bräunerstraße 2 in Wien erworben werden konnte.

 

Es gibt keine Informationen über Müllers letzten Lebensjahre; auch Briefe oder persönliche Dokumente sind aus dieser Zeit nicht nachweisbar. Möglicherweise hinderte ihn auch eine Krankheit an der Entfaltung seiner künstlerischen Tätigkeiten. Da die Familie seiner Frau relativ wohlhabend war, dürfte ihm aber größere Armut erspart geblieben sein. Johann Müller starb am 30. Oktober 1924 in seiner Wiener Wohnung in der Gumpendorfer Straße 95.

 

Unter den mehr als 100 nachweisbaren Kompositionen (davon sind rund zwei Drittel in seinem Nachlass in der Musiksammlung der Wienbibliothek erhalten) besonders erwähnenswert ist noch der Fejérváry-Marsch, der auch auf mehreren CD-Produktionen eingespielt worden ist.

 

In modernen Blasmusikausgaben beim Musikverlag Schwanzer erhältlich sind der Fejérváry-Marsch, der Marsch Weana san ma und die Polka française Die schöne Szegedinerin.

 

Eine umfangreiche Monographie über Johann Müller mit vollständiger Werkliste ist in der Reihe Alta musica Bd. 28 (2008), S. 59-102 als Druckfassung eines Referats in Echternach (Luxemburg) erschienen.